Wenn die Gier sich selbst frisst
Der globale Finanzcrash hat ein Schreckensszenario für alle Jünger des freien Marktes heraufbeschworen: Ist der Kapitalismus am Ende? Dreht sich die Geschichte zurück? Ist Geld am Ende gar ein Fetisch?
Die brennende Frage, wie die Finanzwelt der Zukunft aussehen wird, stellen sich heutzutage nicht nur verlustgeplagte Investoren, größenwahnsinnig gewordene Sparkassendirektoren und gerichtsanhängige Investmentbanker voller Sorge. Man ringt nun sogar schon nach Erklärungen abseits der üblichen Wege. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte in einer schwachen Minute öffentlich zugegeben, dass die marxsche Krisentheorie wohl doch nicht so gefehlt gewesen sei: „Gewisse Teile der marxistischen Theorie waren doch nicht so verkehrt. Ein maßloser Kapitalismus, wie wir ihn erlebt haben, mit all seiner Gier, frisst sich am Ende selbst auf. “Steinbrück spielte damit auf den Zusammenbruch der US Investmentbanken und dessen Folgen an: Die „Finanzarchitektur“ der Welt werde sich in Zukunft drastisch ändern, so Steinbrück. Und weiter: „Man muss aufpassen, dass der aufgeklärte Kapitalismus kein Legitimations, Akzeptanz oder Glaubwürdigkeitsproblem bekommt.“ Dass es schon längst so weit ist, zeigen Konsequenzen der Misere wie die ungewohnt gewalttätigen Ausschreitungen kürzlich beim G20Gipfel in London, die Antikapitalismusdemonstrationen in zahlreichen Industriestaaten oder Einzelaktionen wie Geiselnahmen von Managern durch Angestellte in Frankreich, zuletzt bei Sony, Caterpillar und 3M, schön be schrieben durch das neue Modewort „Bossnapping“. Auch in Österreich ist nichts mehr, wie es war, seit der ehr würdige Herr Julius Meinl V. zumindest kurze Zeit gesiebte Luft im Wiener Häf’n atmen musste. Was wohl Marx dazu ge sagt hätte?Im Zeitalter des Neoliberalismus – der nun wirklich zu Ende ist, im Gegensatz zum Kapitalismus – war Marx ziemlich pfui. Abseits von den notorischen Lesezirkeln tauchte er höchstens hin und wieder in Management Seminaren auf, wenn es um die volkswirtschaftlichhistorische Bedeutung von Begriffen wie Produktivkraft (Produktivität) oder Mehrwert ging. Ansonsten hatte er ausgedient, hin gen doch viele Neoliberale dem dämlichen Diktum vom „Ende der Geschichte“ (dem Sieg des Kapitalismus) von Francis Fukuyama an, das sich im Gegen satz zu Marxens Analysten als atemberaubender Unsinn he rausgestellt hat.
System aus den Fugen
Von wegen Ende der Geschichte. Wir erleben heute, was Marx vor rund 150 Jahren – unter anderen Voraussetzungen – vorhergesagt hat. Der Zwang des Kapitalismus zur Produktivität, zu Wachstum kann nur so lange gut gehen, solange genügend Konsumenten Waren und Dienstleistungen auch wirklich konsumieren. Sonst gerät das gesamte System aus den Fu gen. Durch Rationalisierungen, technologischen Fortschritt und niedrigere Löhne sind die Konsumenten aber nicht mehr in der Lage, alles zu konsumieren, was die Wirtschaft bereitstellt, und das System kollabiert.Addiert man zu diesen Bedingungen die heute wesentlich komplexere wirtschaftliche Realität mit ihrem Kreditwesen, der globalisierten Warenwirtschaft und der längst verselbst ständigten Finanzwelt, verwundert es nicht, dass es ganz ordentlich kracht, wenn der Bo gen einmal überspannt ist. Und wie vor jedem Höhepunkt einer Blase schwemmt es die ganzen übergeschnappten Handlungsträger hervor, die vom über spannten Kapitalismus der letzten Jahre schmarotzten, die Madoffs, die Lehman Brothers und eben auch die vielen Meinls dieser Welt.Was den frohen Tagen folgt, ist ein Weltwirtschaftsgewitter, Dem Crash durch die ökonomische Anarchie des Neoliberalismus folgt ein reinigendes Weltwirtschaftsgewitter ein Zyklus der Reinigung, wie es ihn im Kapitalismus zwangsläufig immer wieder geben muss – auch das wusste Marx. Schlechte Zeiten also für abgehobene „Fat Cats“ wie einen General Motors Chef Rick Wagoner, für Heuschreckenfonds wie Cerberus, aber auch schlechte Zeiten für Millionen von Arbeitslosen, Sparern und Kleinanlegern. Der große Irrglaube der Neo liberalen war ja, dass die Ausformung einer alles dominierenden Finanzwirtschaft einFortschritt war. Das Gegenteil ist aber wahr: Von den Wall StreetHaien der 1980er Jahre bis zu den modernen zerstörerischen Hedgefonds zog sich als einzige Moral die Gier nach Brot. Das als Fortschritt zu sehen, ist ziemlich banal. Und daraus Sprüche abzuleiten wie „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“, lässt auf die Schlichtheit des Wirtschaftskammer Marketings blicken.
Wahr ist, dass diese Art von Wirtschaft, die die Welt fast in den Ruin getrieben hat, nur jenen genutzt hat, die schon völlig abgehoben von der produktiven Realität nur mehr mit dem Fetisch Geld jongliert haben. Genützt hat sie den Steuer hinterziehern, den Korrupten, den Selbstdarstellern und den ganz Schlauen. Repariert wird die Misere jetzt von allen Steuerzahlern mithilfe besonnener Ökonomen.
Lange Erholungsphase
Was kommt danach? Die Zyklenforscher des Kapitalismus gehen davon aus, dass sich ein Crash ungefähr in der dreifachen Anzahl der Monate, die es zum Verfall gebraucht hat, wieder erholt. In der derzeitigen Situation nehmen wir also die 18 Monate der Krise mal drei, was eine Erholungsphase von 4,5 Jahren ergibt. Geht man davon aus, dass die Krise Mitte 2009 ihren Boden erreicht, ist die Wirtschaft Ende 2014 wieder auf dem Stand von zuvor.
Doch die Vorzeichen werden nicht mehr dieselben sein: Der ungezügelte, unproduktive und zerstörerische freie Kapitalismus der Hochfinanz wird ein Ende haben, wenn auch nicht gleich. Steueroasen werden aus gedünnt, Kreditsysteme verbessert und Spekulanten gezügelt. Die Rückorientierung zu einer Wirtschaft, deren innerer Wert sich wieder auf Produktion von Waren und das Anbieten von Dienstleistungen besinnt statt auf das Jonglieren mit ktiven Finanzwerten, wird reinigend wirken. Gleichzeitig verschafft sie den Produktivkräften der Gesellschaft wieder einen höheren Stellenwert, sprich: den Angestellten und Arbeitern und deren Interessen.
Aus für Neoliberalismus
Der Neoliberalismus hat versagt. Jedenfalls in dem Sinne, durch freie Wirtschaft eine freie und gerechte Gesellschaft zu schaffen. Gebracht hat er wirtschaftliche Anarchie, Privilegierung weniger auf Kosten der Mehrheit, die Herrschaft von Konzernen und Kartellen, Hegemonialkriege und soziale Ungleichheit mehr denn je. Neoliberalismus bringt nicht im Geringsten eine funktionierende Wettbewerbsordnung hervor .Und GM Boss Rick Wagoner nimmt 20 Mio. Dollar mit in die Rente.
Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2009