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11. Juli 2025

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Ein Chip mit natürlichen Blutgefäßen

Ein Chip mit natürlichen Blutgefäßen© Pexels.com/Karolina Grabowska

TU Wien und Universität Keio (Japan) entwickeln neue Methode, um Blutgefäße in winzigen Organmodellen auf Chip zu erzeugen. Verfahren adressiert zuverlässigere Modelle von Blutgefäßen und Lebergewebe.



(red/czaak) Wie kann man die Wirkung eines neuen Medikaments erforschen? Wie kann man das Zusammenspiel verschiedener Organe besser verstehen? In der medizinischen Forschung spielen sogenannte „Organ-on-a-chip“-Anwendungen (auch mikrophysiologische Systeme genannt) eine wachsende Rolle: Wenn es gelingt, Gewebestrukturen im Labor auf präzise kontrollierbare Chips wachsen zu lassen, dann kann viel präziser geforscht werden, als das mit Versuchen an lebenden Menschen oder Tieren möglich wäre.



Solche Mini-Organe sind jedoch unvollständig ohne Blutgefäße. Um eine echte Vergleichbarkeit mit lebenden Organismen sicherzustellen, braucht es ein lebensnahes Netz winziger durchflussfähiger Blutgefäße und Kapillaren – und zwar auf genau kontrollierbare, reproduzierbare Weise. Das ist der TU Wien nun gelungen, mit einem neuen Verfahren, wo mittels ultrakurzer Laserpulse auf reproduzierbare Weise winzige Blutgefäße entstehen. Versuche zeigen, dass diese Gefäße sich tatsächlich so wie Gefäße im lebenden Gewebe verhalten. Leber-Gewebe wurde mit großem Erfolg auf einem Chip hergestellt.



Echte Zellen in künstlichen Kanälchen


„Will man etwa untersuchen, wie bestimmte Medikamente in unterschiedlichen Geweben transportiert und absorbiert werden, dann braucht es feinste Netze aus Blutgefäßen“, sagt Alice Salvadori, vom Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien. Idealerweise werden solche Blutgefäße in speziellen Materialien hergestellt, sogenannte Hydrogelen. Diese Materialien bieten den lebenden Zellen Halt, sind aber durchlässig, ähnlich wie natürliche Gewebe. Wenn in solchen Hydrogelen kleine Kanälchen erzeugt werden, kann erreicht werden, dass sich im Inneren dieser Kanälchen sogenannte Endothelzellen anlagern – Zellen, die im menschlichen Körper das Innere von Blutgefäßen auskleiden.

Damit gibt es ein künstliches Modell, das einem lebenden Blutgefäß sehr ähnlich ist. Form und Größe solcher Blutgefäß-Netzwerke sind aber sehr schwer zu kontrollieren. Wenn die Netzwerke sich frei entwickeln, variiert die Geometrie der Blutgefäße immer stark von einer Probe zur anderen. Damit lassen sich keine reproduzierbaren, exakten Experimente durchführen – doch gerade das ist für präzise medizinische Forschung wichtig. 

Besseres Hydrogel und Laser-Präzision

An der TU Wien setzte man daher auf eine hochentwickelte Lasertechnik: Mit Hilfe ultrakurzer Laserpulse mit einer Dauer im Femtosekunden-Bereich kann man in Hydrogelen sehr schnell und sehr effizient hochpräzise 3D-Strukturen in das Material hineinschreiben. Doch nicht nur die exakte Herstellung der gewünschten Blutgefäß-Geometrie ist wichtig, die Blutgefäß-Netzwerke müssen vor allem stabil bleiben, wenn sie von Zellen besiedelt werden. Anstelle des üblichen einstufigen Gelierungsverfahrens verwendete das Team einen zweistufigen thermischen Härtungsprozess.

Das Hydrogel wird in zwei Phasen mit unterschiedlichen Temperaturen erwärmt, nicht nur in einer. Dadurch verändert sich seine Netzwerkstruktur, und ein stabileres Material entsteht. Die Gefäße bleiben offen und behalten ihre Form über einen längeren Zeitraum bei. „Wir haben nicht nur gezeigt, dass wir künstliche Blutgefäße herstellen können, die tatsächlich durchflossen werden können. Wir haben zudem eine skalierbare Technologie entwickelt, die im industriellen Maßstab eingesetzt werden kann“, sagt Aleksandr Ovsianikov. „Die Strukturierung von 30 Kanälen dauert nur 10 Minuten, was mindestens 60-mal schneller ist als andere Techniken.“

Ein Lebermodell mit Blutgefäßen ausstatten

Wenn biologische Prozesse mit solchen Chips nachgestellt werden sollen, muss man zunächst sicherstellen, dass sie sich tatsächlich so verhalten wie natürliches Gewebe. „Wir haben gezeigt, dass diese künstlichen Blutgefäße tatsächlich mit Endothelzellen besiedelt werden, die genauso reagieren wie Endothelzellen im Körper“, sagt Alice Salvadori. „Sie reagieren beispielsweise auf dieselbe Weise auf Entzündungen – sie werden dabei durchlässiger, genau wie Blutgefäße im Körper.“

Damit ist nun ein wichtiger Schritt getan, die Lab-on-a-Chip-Technologie zum industriellen Standard in vielen Bereichen der medizinischen Forschung zu machen. „Mit diesem Ansatz konnten wir ein Lebermodell mit Blutgefäßen ausstatten. In Zusammenarbeit mit der Keio-Universität (Japan) haben wir ein Leberläppchen auf einem Chip entwickelt, das ein kontrolliertes 3D-Gefäßnetzwerk enthält, das die Anordnung der Zentralvene und Sinusoide in vivo genau nachahmt“, sagt Aleksandr Ovsianikov von der TU Wien.

Integration der Organ-on-a-Chip-Technologie in die präklinische Arzneimittelforschung

"Die Nachbildung der dichten und komplexen Mikrogefäße der Leber war lange Zeit eine Herausforderung in der Organ-on-Chip-Forschung. Durch den Aufbau mehrerer Schichten von Mikrogefäßen, die das gesamte Gewebevolumen durchziehen, konnten wir eine ausreichende Nährstoff- und Sauerstoffversorgung sicherstellen – was wiederum zu einer verbesserten Stoffwechselaktivität im Lebermodell führte. Wir glauben, dass diese Fortschritte uns einen Schritt näher an die Integration der Organ-on-a-Chip-Technologie in die präklinische Arzneimittelforschung bringen", sagt Masafumi Watanabe von der Keio-Universität.

"Die Organ-on-a-Chip-Technologie und fortschrittliche Lasertechnologie lassen sich gut kombinieren, um zuverlässigere Modelle von Blutgefäßen und Lebergewebe zu erstellen. Ein wichtiger Durchbruch ist die Möglichkeit, winzige Gewebe auf einem Chip zu bauen, durch die Flüssigkeit fließen kann, ähnlich wie Blut im Körper. Dies hilft Forschern, besser zu verstehen, wie der Blutfluss die Zellen beeinflusst. Die Organ-on-a-Chip-Technologie ermöglicht es auch, die Reaktionen der Zellen unter dem Mikroskop genau zu beobachten. Diese Modelle werden Wissenschaftlern helfen, die Funktionsweise des Körpers zu untersuchen, und könnten in Zukunft zu besseren Behandlungen und einer besseren Gesundheitsversorgung führen“, ergänzt Ryo Sudo von der Keio-Universität. (red/czaak)

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 30.05.2025