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29. März 2024

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Ein respektables Wahlergebnis mit handwerklichen Versäumnissen

Ein respektables Wahlergebnis mit handwerklichen VersäumnissenBernhard Ebner und Johanna Mikl-Leitner @ VPNOe

Johanna Mikl-Leitner und VP-NOe erreichen 40 Prozent. Krisenthemen und fehlende Zweitwohnsitzwähler und Bundespolitik kosten Mehrheit. Dazu kommen hausgemachte und mediale Fehler bei Auftritten von Landeschefin und Partei.

(Christian Czaak) Ingrid Thurnher, eigentlich Radiodirektorin des ORF und aktuell nun auch interimistische Wahl-Berichterstattungsaufpasserin im Landestudio Niederösterreich im Zuge der Causa ORF-NÖ-Landesdirektor Ziegler (Anm. Vorwürfe der VP-Nähe), kann sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen, als die ersten Ergebnisse zur Landtagswahl im Pressezentrum des Niederösterreichischen Landhauses gezeigt werden.

Ein wenig entfernt sitzen Peter Kirchweger, langjähriger Sprecher von Altlandeshauptmann Erwin Pröll und Hubert Wachter, Journalist mit ausgeprägtem Niederösterreichbezug. Die beiden Herren lächeln nicht. Der Autor überblickt Reaktionen und Szenerie in unmittelbarer Nachbarschaft.

ÖVP-Länder Tirol mit 35 Prozent und OÖ mit 38 Prozent
Johanna Mikl-Leitner, seit 2017 Landeshauptfrau von Niederösterreich und Chefin der wichtigsten ÖVP-Landespartei Österreichs, kommt bei dieser Wahl auf 39,94 Prozent und verliert gegenüber der letzten Wahl 2018 über neun Prozent. Diese rund 40 Prozent sind aber in Relation immer noch ein respektables Ergebnis für sie und Bernhard Ebner, seit 2015 Geschäftsführer der Niederösterreichischen Volkspartei.

Bei der letzten Wahl in der ebenfalls schwarzen Hochburg Tirol 2022 erreicht die ÖVP mit dem neuen Landeshauptmann Anton Mattle knapp 35 Prozent (exakt 34,71) und verliert ebenfalls über neun Prozent. Im schwarz-blau regierten OÖ kommt die ÖVP zuletzt (2021) auf knapp 38 Prozent (37,61), und in Vorarlberg - 2019 bei der letzten Wahl vor Corona, Teuerung, Ukraine & Co. - auf rund 44 Prozent.

Wegfall der Zweitwohnsitze als Wahlberechtigte kosten ÖVP fünf Prozent
Das Niederösterreichische Wahlergebnis mit dem Verlust der absoluten Mehrheit für die ÖVP war so von allen Meinungsforschungsinstituten vorhergesagt worden. Ein zentraler Bestandteil davon ist schon der diesmalige Wegfall von rund 100.000 Zweitwohnsitzen, wo 2018 rund 70.000 oder fünf (!) Prozent der Wahlberechtigten die ÖVP wählten. Inhaltlich zeigen sich dann in vielen Umfragen rund um die Wahl die entscheidenden Beweggründe der Menschen.

Dazu gehören primär die Themen hohe Inflation bzw. Teuerung, Energieversorgung/-kosten und Zuwanderung bzw. Flüchtlinge. Und dazu gehören tun laut Wählerbefragungen auch Management und Impfaktivitäten rund um Corona. All diese Themen sind nahezu ausschließlich in der Verantwortung des Bundes oder international begründet bzw. nicht oder nur bedingt von und in Niederösterreich.

Aktuelle NOe-Wahl nach jahrelang steigenden Belastungen für die Menschen
Die aktuelle Wahl in Niederösterreich passiert nach drei Jahren kontinuierlich steigenden Belastungen für die Menschen. Diese Wahl ist daher auch eine Art „Kochtopf-Ventil“ und viele Menschen nützen diese (wahlterminlich erste) Möglichkeit zum Protest. „Heiß“ gemacht werden diese Protestwähler dann noch von der FPÖ.

Diese verwendet eine markige und besonders für einfache Gemüter einprägsame Wahlpropaganda rund um das Narrativ (kriminelle) Flüchtlingsströme und das inkludiert auch zahlreiche persönlich untergriffige Auftritte gegen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. FPÖ-Mann Landbauer hat die ganz kurz vor der letzten Wahl aufgepoppte Liederbuchaffäre mit seinem damit verbundenen politischen Rückzug nicht vergessen.

Flüchtlinge und Teuerung für über 60 Prozent der FPÖ-Wähler wahlentscheidend
In Summe kommt die FPÖ bei der Wahl auf 24 Prozent und auf ein Plus von genau den neun Prozent, die die ÖVP verliert. Wahlanalysen zeigen, dass die protestantischen Beweggründe und persönlichen Angriffe der FPÖ fruchten. Flüchtlinge und Teuerung sind für über 60 Prozent der FPÖ-Wähler wahlentscheidend.

Weitere Studien zeigen, dass weniger gebildete und einkommensschwache Schichten diese FPÖ wählen. Die Männer sind dabei im Überhang. Bei den weniger Gebildeten kommt die FPÖ auf weit über 30 Prozent, bei Menschen mit Matura oder Uni-Abschluss nur auf knapp über 10 Prozent. Bei der einkommensschwächeren Bevölkerung kommen die Freiheitlichen gar auf 45 Prozent (Quelle für alle Werte: SORA/ORF).

Rolle der Niederösterreichischen Wahlstrategen
Wie angeführt liegen diese wahlentscheidenden Themen nicht oder nur bedingt in der Landesverantwortung von Niederösterreich. Den Niederösterreichischen Wahl-Strategen in der Landespartei (und in Bundes-ÖVP) muss aber klar gewesen sein, dass diese Themen trotzdem Hauptinhalte der Wahl sind und damit dann auch in der medialen Berichterstattung.

Das inkludiert insbesondere die vielen live übertragenen TV-Diskussionen der NÖ-Spitzenkandidaten, die sogenannten Elefantenrunden, und zahlreiche, ebenso live geführten Einzel-Interviews im Radio, etwa in den meinungsbildend und reichweitentechnisch wichtigen Ö1-Journalen. Dazu kommt dann noch das Format der Live-Reportage.

Die Auftritte von Johanna Mikl-Leitner und Udo Landbauer
Aus wahltaktischer Sicht zusammengefasst kommt Johanna Mikl-Leitner bei diesen Live-Auftritten nicht optimal weg und das gilt insbesondere für die Elefantenrunde im ORF und in Radio-Interviews. Dieser Befund gilt sowohl inhaltlich das Themen-Setting betreffend und er gilt auch für das Auftreten der Landeschefin.

Bei allem Verständnis für ihren (zudem oft ausgesprochenen) Weg des Miteinanders, war sie hier in Richtung FPÖ-Landbauer zu wenig angriffig bzw. reaktionsstark. Obwohl mehrmals direkt (und untergriffig) angesprochen, reagiert sie nicht. Landbauer umgekehrt riss oft das Wort an sich, Gesprächszeiten oder -Kultur hin oder her. Das kann man dann auch Durchsetzungsvermögen nennen und diese Eindrücke bleiben so auch bei vielen Wählern hängen.

Fragen des Niederösterreichischen Themensettings
Ein zweiter Punkt sind die Inhalte mit einem komprimierten Fokus auf diese wahlentscheidenden Themen. Niederösterreich liegt in mehreren wichtigen Segmenten unter den drei Besten im Bundesländervergleich, darunter der aussagekräftige Wert des österreichweit höchsten Pro-Kopf-Einkommens. Klar formuliert hat Mikl-Leitner das aber nur in der ZIB-2 bei Armin Wolf - nach der Wahl.

Die Vorreiterrolle beim Thema Windkraft, die vielen, lange vor der Wahl initiierten Sondermaßnahmen bei den kritisch diskutierten Themen Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung. Die Reduktion der Flüchtlingszahlen, ein offensiv-selbstkritischer Blick zurück bei Verordnungen und Impfpflicht rund um Corona plus etwaigen Vergleichen mit den strengeren Maßnahmen in Wien und Hinweisen auf Verordnungen der Bundespolitik.

Ungenügende Briefings oder mangelnde Umsetzung
Bei all diesen Punkten gab es entweder ungenügende Briefings oder mangelnde Umsetzung und zumindest ergänzend auch mangelnde Unterstützung der Bundes-ÖVP. Zu diesem medialen und kommunikativen Analyseversuch gehört auch die normale Berichterstattung rund um die Wahl. Im Kontext mit persönlichen Nutzungsgewohnheiten (und fehlenden Rechercheressourcen) sind Boulevard-Medien dabei nicht enthalten.

Die Sichtung konzentrierte sich auf (sog.) Qualitätszeitungen und den ORF mit den Ö1-Journalen und inhaltlich auf Berichte zu standortpolitischen Parametern und Bundesländervergleichen. In nahezu all diesen Berichten kommt Niederösterreich nicht gut weg, oftmals ungerechtfertigter Weise oder nicht ausreichend recherchiert. Positive Aktivitäten und Zahlen werden so gut wie überhaupt nicht behandelt oder wenigstens genannt.

Die Frage einer medialen politischen Agenda
Als Beispiele für diesen Befund dienen die wahlrelevanten Themen wie Teuerung, Kinderbetreuung und (alternative) Energien wie Windkraft sowie die übergeordneten Bereiche Landesbudget und Wirtschaftsstruktur. Beim Thema Teuerung und Energiekosten reagiert NOe vergleichsweise rasch und unbürokratisch mit direkten Unterstützungen für Familien, bis hin dann zum Energiepreisdeckel. Nicht berichtenswert.

Thema Kinderbetreuung: ausschließlich negative Berichte über Mängel bei unter 3-Jährigen und hohe Kosten. Die vielen individuellen Betreuungsinitiativen und die finanziellen Förderungen für bedürftige Familien - nicht berichtenswert. Alternative Energieformen: negative Berichte nur zu längst überholten Entscheidungsfragen beim Thema Windenergie. Dass aus NOe 50 Prozent der ö-weiten Windenergie kommt und dass bereits letzten Sommer weitere 5 Mrd. Euro für Wind- und Photovoltaik-Energie beschlossen wurde: nicht berichtenswert.

Das Beispiel kleinteilige Betriebsstruktur und Ö1 als positiver Ausreißer
Rein negativ kritisiert wird auch die „kleinteilige Betriebsstruktur“. Kein Thema, dass das standortpolitisch nötig war, um aus reinem Agrarland einen wettbewerbsfähigen Standort mit unterschiedlichen Branchen und Unternehmensgrößen zu formen. Schließlich noch das Landesbudget. Hier wird NOe ein vglw. zu hoher Budgeteinsatz vorgeworfen. Ein einziger Bericht im Ö1-Morgenjournal (23.01.23) lässt den Wirtschaftsforscher Peter Huber erläutern, dass im NOe-Budget etwa auch Spitäler und Gesundheitskosten sowie Wohnbau enthalten sind – und in anderen Bundesländern nicht.

Ebenfalls erwähnenswert ist die durchgehende Nichtbeachtung der Themen Bildung, Forschung und Innovation. Die landeseigenen und seit Jahrzehnten tätigen Institutionen für eine vergleichsweise erfolgreiche regionale Standortentwicklung wie Ecoplus oder RIZ sind kein Thema, ausgenommen ein Bericht im Kurier. Die auch international beachteten Wissenschaftseinrichtungen Med Austron und ISTA sind ob ihrer erfolgreichen Entwicklung nicht berichtenswert, ausgenommen ein Bericht im Kurier und ein Satz in einem Ö1-Bericht.

Unterstützung von ORF-NÖ-Chefredakteur Kuhn für Landbauer gegen Mikl-Leitner
Wie schon kürzlich zu tendenziösen NOe-Berichten in einem Qualitätsblatt erörtert, so unterstützt auch dieser Befund das Fehlen einer objektiv-kritischen Berichterstattung, höflich formuliert. Weniger höflich könnte man das auch eine politisch motivierte Agenda nennen. Gut dazu passt das Verhalten des Moderators der ORF-Elefantenrunde, Benedikt Kuhn, seines Zeichens Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich.

Als Johanna Mikl-Leitner FPÖ-Mann Landbauer ein Mal direkt kritisch anspricht, unterbricht Chefredakteur Kuhn in Folge, weil Landbauer „ja direkt angesprochen ist“ und räumt ihm gesonderte Antwortzeit ein. Umgekehrt passiert das trotz vieler Landbauer-Angriffe in Richtung Mikl-Leitner kein einziges Mal. Aber: die eingangs angeführte Landesstudio-NÖ-Wahl-Aufpasserin Ingrid Thurnher hat das sicher registriert und verwendet es für eine entsprechende Ermahnung in Sachen kritisch-objektiver Journalismus. Oder?

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 31.01.2023