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28. März 2024

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Die süße Tugend des Nichtstuns

Die süße Tugend des Nichtstuns© Bilderbox.com

Das Recht auf Arbeit sei eine kapitalistisch-religiöse Platitüde, meint Paul Lafargue.

Man kann vom ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder halten, was man will, er hat jedenfalls seine Früh- sozialisten gelesen. „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, tönte der sozialdemokratische Ex- Kanzler im Jahr 2001 via Bild- Zeitung und meinte damit die damals rund vier Mio. Arbeits- losen und Sozialhilfeempfänger im Land, die er damit gleich ein- mal alle als Arbeitsverweigerer über einen Kamm scherte.Woher kam allerdings der flotte Spruch? Das Recht auf Faulheit, im Originaltitel Le droit à la paresse, entstammt der Feder des Frühsozialisten Paul Lafargue und ist im Jahr 1880 zum ersten Mal erschienen und danach viele Male nachgedruckt worden. Lafargue analysierte den zu seiner Zeit auf- kommenden Begriff der Arbeit als Lebensinhalt, als Grundlage von Wohlstand und als Struktur des Daseins in seinen Grund- lagen. Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei der „Arbeits- sucht“ und dem „Arbeitsglück“ lediglich um eine bestimmte moralische Grundlage der Bourgeoisie und des frühen Kapitalismus handelte, die damit der neu entstehenden Arbeiter- klasse ihre ethischen Grundlagen geben wollten.

Seltsame Arbeitssucht
„Die kapitalistische Moral, eine jämmerliche Kopie der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Fluch; ihr Ideal besteht darin, (...) den Produzenten zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man pausenlos und gnadenlos Arbeit herausschindet“, schreibt Lafargue. Diese „seltsame Arbeits- sucht“, die den Menschen „ein organisches Bedürfnis“ ist, wird von ihm gnadenlos zerpflückt. Und so kommt er auch zu folgendem Schluss: Das „Grundrecht auf Arbeit“, wie es die Französische Revolution formulierte, führe den Arbeiter immer mehr in die Verelendung, aus der er glaubt, nur durch mehr Arbeit herauszukommen. Zu viel Arbeit führe zu Überproduktion, laut Lafargue zu seiner Zeit etwa ein Grund für den Kolonialismus und die dar- aus folgenden Probleme.Die Religion der Arbeit müsse widerlegt werden, und zwar mit dem „Recht auf Faulheit“.Faulheit oder, moderner ausgedrückt, Bevorzugung von Freizeit wird in der heutigen Gesellschaft meist mit Parasitismus statt mit Hinwendung zur Muße gleichgesetzt. Foto: Photos.comKathrin Fischer (42) ist neue Professorin für Supply Chain Management und Logistik am Institutfür Transportwirtschaft undLogistik an der Wirtschaftsuniversität (WU)Wien. Die deutsche Logistikexpertin war zu- letzt als Leiterin des Studiengangs „Logistics Management“ an der HSBA (Hamburg School of Business Administration) tätig. An der WU wird sie sich um diverse Lehrveranstaltungen kümmern. Foto: WU Wien Lafargue bemüht viele historische Beispiele, etwa die alten Griechen, die in der Zeit ihrer höchsten Blüte nur Verachtung für die Arbeit hatten; den Sklaven allein war es gestattet zu arbeiten, der freie Mann kannte nur körperliche Übungen und Spiele des Geistes, bemerkt Lafargue.Welches seien in der Gesell- schaft die Klassen, welche die Arbeit um der Arbeit willen lieben?

„Die Kleinbauern und Kleinbürger, welche, die einen auf ihren Acker gebückt, die an- deren ihren Geschäften hinge- geben, dem Maulwurf gleichen, der in seiner Höhle herumwühlt, und sich nie aufrichtet, um mit Muße die Natur zu betrachten“, so Lafargue in seiner Schrift, die im Gegensatz zu Marx und Engels damals den Fortschrittsgedanken komplett zurückwies und auch den Konsumgedanken der Frühindustrialisierung in Form der Massenproduktion ab- lehnte. Nicht zuletzt deswegen war seine Schrift im gesamten Ostblock bis zur Wende in den 1990er Jahren verboten.In der Tat hat der Gedanke der Anti-Arbeit beziehungsweise der Faulheit eine lange historische Tradition. So schreibt etwa Herodot: „In Athen waren nur die Bürger wirkliche Edle, die sich mit der Verteidigung und Verwaltung der Gemeinschaft beschäftigten. (...) Um mit ihrer geistigen und körperlichen Kraft die Belange der Re- publik wahrzunehmen, mussten sie über ihre ganze Zeit frei verfügen und beluden die Sklaven mit der ganzen Arbeit.“„Die Arbeit ist nichts anderes als ein Zügel für die edlen menschlichen Leidenschaften.“Paul Lafargue Plato wiederum schreibt in seiner Gesellschaftsutopie des Philosophenstaates, dass „die Natur weder Schuhmacher noch Schmiede geschaffen hat; solche Berufe entwürdigen die Leute, die sie ausüben.“ Und Cicero stellte in seinem Werk Über die Pflichten recht deutlich klar, was er von Arbeit hielt: „Wer seine Arbeit für Geld her- gibt, verkauft sich selbst und stellt sich auf eine Stufe mit den Sklaven.“Das Lohnsystem, schließt Lafargue daraus, die Lohnarbeit an sich sei „die schlimmste Sklaverei“ überhaupt: „Man führe die Arbeit ein, und adieu Freu- de, Gesundheit, Freiheit – adieu alles, was das Leben schön, was es wert macht, gelebt zu werden.“Der österreichische Soziologe Bernd Marin hat sich der Thematik nach dem Schröder-Ausspruch angenommen und versucht, den Begriff „Faulheit“ auf heute gültige, moderne Bedingungen umzumünzen: Faulheit sei heute eher gleich- zusetzen mit der „Präferenz für Freizeit“, meint Marin, und zwar eine „Freizeit“, die sich nicht aus Mitteln der Sozialleistungen speist. Freie Gesellschaften würden nämlich weder Zwangsarbeit noch Arbeitszwang kennen und müssten eine „Faulheit“ eines Teils der Mitglieder dieser Gesellschaft hinnehmen können müssen, so- lange die „Faulen“ nicht am sozialen Tropf hängen, sondern ihre Utopie des süßen Nichtstuns innerhalb der Ellbogengesellschaft selbst organisieren – wie immer das auch gelingen soll oder kann.

Mittagsschlaf über allem
Wie man richtig faul ist, kann man sich von der literarischen Vorlage Oblomow von Iwan Gontscharow abschauen. Oblomow, ein russischer Adeliger, legt eine beispiellose, methodische Trägheit und Faulheit an den Tag. In seinem dauernden Schlummer vergisst er die Menschen, den Zwang, die Ordnung der Dinge und überhaupt alles außer seinen Mittagsschlaf, der das zentrale Ereignis seines Ta- ges ist. Diese Faulheit ist allerdings extrem, sie beinhaltet keinerlei Muße, die sich Lafargue unter Faulheit vorstellt.

Arno Maierbrugger, Economy Ausgabe 60-07-2010, 31.07.2017