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29. März 2024

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Der besiedelte Verdauungstrakt

Der besiedelte Verdauungstrakt© Berger Max Planck Institut

Archaeen als Urbakterien besiedeln extreme Lebensräume und so auch den Verdauungstrakt von Wirbeltieren und Menschen. TU-Wien und Max-Planck-Institut erforschen diese Besiedelung und entdecken neue Stämme.

(red/mich) Archaeen als einzellige Lebewesen stehen am Anfang der Entwicklungsgeschichte und existieren bereits seit Milliarden Jahren. Wissenschaftler entdecken trotzdem erst jetzt neue Stämme, darunter auch jene im Verdauungstrakt des Menschen und anderer Wirbeltiere. Einen Überblick über die artspezifische Besiedlung mit Archaeen liefert nun eine aktuelle Studie von TU Wien und Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Die Arbeit wurde am 26. Oktober in Nature Microbiology veröffentlicht. 

Trinkwasserforschung und Mikrobiologie
Georg Reischer ist Molekularbiologe der TU Wien sowie dem ICC Water & Health. Er befasst sich mit Messung und Zuordnung von Verschmutzungen im Wasser. Diese Verunreinigungen entstehen mitunter durch menschliche Abwässer, aber auch durch Nutz- oder Wildtiere. „Wenn wir fäkale Verunreinigungen finden, gilt es die Ursache dafür zu finden. Das gelingt uns zum Beispiel über Mikroorganismen, die spezifisch im Verdauungstrakt einer bestimmten Spezies vorkommen“, erklärt Reischer. Dieses Verfahren wird als Microbial Source Tracking bezeichnet.

Da die Zuordnung zu einem Verursacher oft schwierig ist, haben sich die Forscher auf die Suche nach neuen, spezifischen Markern gemacht und eine Kooperation von TU Wien und dem Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie gestartet. Eine zentrale Hypothese ihrer Arbeit ist, dass es im Verdauungstrakt lebende Archaeen gibt, die fest mit ihrem Wirt vergemeinschaftet sind – und sich somit für die Verursacheridentifikation eignen. 

Ein umfangreiches Datenset
Studien, die sich mit dem Vorkommen von Archaeen im Verdauungstrakt befassen, nutzen meist von Menschen oder Nutztieren stammende Proben sowie sogenannte Primer, die unspezifisch für verschiedene Archaeen sind. Der Erkenntnisgewinn ist dadurch stark limitiert. „Drei Viertel der von uns untersuchten Proben, stammen dagegen von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen und das liefert uns ein umfassendes Bild“, sagt Reischer. Die Sammlung der vielfältigen Proben erfolgte mit der Unterstützung von Gabrielle Stalder von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Entdeckt wurde nun, dass in Wirbeltieren bislang unentdeckte Archaeen leben und diese konnten jetzt erstmals klassifiziert sowie scheinbar mit einzelnen Tierarten assoziiert werden. Die Zuordnung der Archaeen hat zwei Gründe: Die Ernährung und den Verwandtschaftsgrad. „Je näher zwei Arten miteinander verwandt sind, desto ähnlicher ist auch ihr Mikrobiom, inklusive Archaeen“, erklärt Andreas Farnleitner von der TU Wien.

Verkürzte Spurensuche
„Eine besondere Entdeckung ist das Archaeon Methanothermobacter“, sagt Nicholas Youngblut vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, der die Genabschnitte der Archaeen entschlüsselt hat. Methanothermobacter kommt gehäuft in Vögeln vor, eine Erklärung dafür könnte die Angepasstheit der Archaeen sein. Einige Arten dieser Einzeller bevorzugen hohe Temperaturen, andere leben in sehr sauren Umgebungen.

„Mit bis zu 42 Grad Celsius haben Vögel eine vergleichsweise hohe Körpertemperatur und das scheint hier von Vorteil zu sein“, sagt Georg Reischer. Erkenntnisse wie diese können in Zukunft für die Verursacheridentifikation genutzt werden, denn wirtassoziierte Archaeen sind weitaus spezifischer als herkömmliche Marker. 

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red/mich, Economy Ausgabe Webartikel, 02.11.2021