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28. März 2024

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„Das ist eine enorme Erleichterung für uns Eltern“

„Das ist eine enorme Erleichterung für uns Eltern“© Med-Uni Innsbruck_privat

Uni Cambridge und Med-Unis Innsbruck, Wien und Graz entwickeln vielbeachtetes neues System für verbesserte Diabetes-Behandlung bei Kleinkindern. Inkludiert ist etwa ein Glukose-Management per Handy-App.

(red/mich/czaak) Die Diagnose Typ-1-Diabetes bei Kindern im Vorschulalter stellt Eltern vor große Herausforderungen. Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die dazu führt, dass die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört werden. Mehrmals tägliches Blutzucker-Messen, das Tragen eines kontinuierlichen Glukose-Sensors und die subkutane Insulin-Gabe gehören neben dem Wissen um die Berechnung von Kohlenhydraten zu den grundlegenden Maßnahmen für einen gut eingestellten Stoffwechsel. In Österreich sind aktuell rund 1.600 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren vom Typ-1-Diabetes betroffen, Tendenz, wie auch international, steigend.

Ein von der Universität Cambridge aktuell entwickeltes sogenanntes „Closed-Loop-System“ mit Glukose-Management per Handy-App, eigenem Glukose-Sensor und Insulinpumpe kann nun den Alltag der Betroffenen extrem erleichtern und die Blutzuckereinstellung der Kinder sicher und effektiv verbessern. Das sind die Ergebnisse aus dem EU-Projekt „KidsAP“, wo auch die Medizinischen Universitäten Wien, Graz und Innsbruck beteiligt waren. Das international renommierte Fachjournal „New England Journal of Medicine“ berichtete bereits über das Projekt.

Dringend nötige Unterstützung der Eltern
Die Behandlung von Typ-1-Diabetes bei Kleinkindern ist generell überaus aufwendig. Nicht nur untertags muss der Blutzucker mehrmals gemessen und je nach Kohlenhydrataufnahme die entsprechende Insulindosis berechnet und verabreicht werden. Auch während der Nacht bedarf es mehrmaliger Blutzucker-Kontrollen und gegebenenfalls einer Insulin- oder Kohlenhydratzufuhr. Kleinkinder haben ausgeprägte Blutzuckerschwankungen, einen sehr geringen Insulinbedarf und ein unvorhersehbares Ess- und Bewegungsverhalten. Sie laufen somit Gefahr, gefährlich niedrige Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie) und hohe Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie) zu haben. 

Sinkt der Blutzucker zu stark und plötzlich, kann das zu Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen führen, ein zu lange anhaltend hoher Blutzuckerspiegel erhöht wiederum die Gefahr der akuten schweren Stoffwechselentgleisung und Entwicklung der lebensbedrohlichen diabetischen Ketoazidose (Anm. bis hin zu einem komatösen Zustand). Moderne Technologien wie die sensorunterstützte Insulinpumpentherapie haben sich bei Kindern bereits bewährt. Bei den bisherigen Systemen ist jedoch die Unterstützung der Eltern nötig, sie müssen den Glukosespiegel ihres Kindes laufend überprüfen und dann die von der Pumpe verabreichte Insulinmenge manuell anpassen. 
 
Zukunftsweisende Behandlungsmethode
In Verbindung mit künstlicher Intelligenz in Form eines Algorithmus zur Steuerung des „Closed-Loop-Systems“ lässt sich die hohe Belastung der Eltern verringern und das Glukosemanagement erheblich verbessern. Das ist das Ergebnis des soeben abgeschlossenen internationalen EU-Projekts KidsAP, an dem neben der Uni Cambridge und weiteren europäischen Studienzentren auch die Medizinischen Universitäten in Innsbruck (Sabine E. Hofer, Univ.-Klinik für Pädiatrie I), Graz (Elke Fröhlich-Reiterer, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde und Julia Mader, Univ.-Klinik für Innere Medizin) und Wien (Birgit Rami-Merhar, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde) maßgeblich beteiligt waren.

Das Closed-Loop-System, das in sieben internationalen Studienzentren (Cambridge, Leeds, Luxemburg, Leipzig, Graz, Innsbruck, Wien) an insgesamt 74 Kindern zwischen 1 und 7 Jahren getestet wurde, funktioniert mit einer von Roman Hovorka an der Universität Cambridge entwickelten Applikation, die in Kombination mit einem Glukosesensor und einer Insulinpumpe als eine Art künstliche Bauchspeicheldrüse fungiert. Basierend auf vorhergesagten oder Echtzeit-Glukosewerten wird hier die abgegebene Insulinmenge automatisch angepasst. Dafür muss die Betreuungsperson des Kindes lediglich zu den Mahlzeiten Insulin verabreichen, zu allen anderen Zeiten arbeitet der Algorithmus jedoch von selbst, um den programmierten Glukosezielwert (meist 100 mg/dl) stabil zu halten. Die Frequenz der blutig gemessenen Werte kann damit deutlich reduziert werden.

Sicherheit und Wirksamkeit
Um Sicherheit und Wirksamkeit des Closed-Loop-Systems im Vergleich zur sensorunterstützten Insulinpumpentherapie zu überprüfen, verwendeten die teilnehmenden Kinder 16 Wochen das von der App gesteuerte System und anschließend 16 Wochen lang die Kontrollbehandlung mit der herkömmlichen sensorunterstützten Insulinpumpentherapie. Die Auswertung der Daten ergab, dass die Zeit im Glukose-Zielbereich signifikant erhöht werden konnte, sodass die Kinder zusätzliche 125 Minuten pro Tag länger im Zielbereich waren.

Dies hatte auch bei den schon gut eingestellten jungen PatientInnen eine Senkung des wichtigen HbA1c-Wertes zur Folge (Anm. um 0,7 Prozent). Dieser Laborwert gibt Auskunft über die Einstellung des Stoffwechsels: je niedriger, desto besser die Prognose und geringer das Risiko für Diabetes bedingte Spätfolgen.  Zusätzlich zu dieser Verbesserung konnte auch die Zeit mit erhöhten Blutzuckerwerten um neun Prozentpunkte verringert werden und all das erfolgte ohne eine Zunahme von Hypoglykämien. Das Hypoglykämierisiko war in beiden Untersuchungsarmen gleichwertig niedrig. Die Leiterinnen der drei österreichischen Studienzentralen übermittelten nach den Ergebnissen auch das folgende Resümee von Eltern: „Das Closed-Loop-System ist eine enorme Erleichterung, sowohl tagsüber wie auch in der Nacht.“
 

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red/mich/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 20.01.2022