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28. März 2024

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Technologie kann auch Gesundheit

Technologie kann auch Gesundheit©TU Wien

Die TU-Wien entwickelt im Rahmen einer industriellen Kooperation ein Medizinprodukt, das weit verbreitete Nahrungsallergien wie Gluten lindern oder sogar vollständig beseitigen kann und bereits ab 2021 in Apotheken erhältlich sein soll.

In Europa leiden zahlreiche Menschen an der sogenannten Zöliakie, einer Empfindlichkeit oder Allergie gegen die besser geläufigen Gluten - ein Protein in Grundnahrungsmittel wie Getreide bzw. Weizen, Gerste oder Roggen. Bestehende Behandlungsmethoden greifen ins Immunsystem ein, mögliche Nebenwirkungen müssen daher sehr sorgfältig untersucht werden. Erste klinische Studien laufen hier, Prognosen für die nächsten Jahre erwarten allerdings kein marktfähiges Produkt.

Die TU Wien entwickelte nun aktuell ein Medikament, das nicht in das Immunsystem eingreift, sondern die Gluten-Moleküle direkt attackiert und unschädlich macht. Damit ist auch das Zulassungsverfahren deutlich einfacher und das Medizinprodukt soll bereits 2021 in den Apotheken erhältlich sein.

Moleküle wie Schlüssel und Schloss
„Unser Körper produziert Antikörper, die genau zu eindringenden Antigenen passen, wie ein Schlüssel zum Schloss – durch diese Immunreaktion werden diese Antigene unschädlich gemacht“, erklärt Oliver Spadiut, Leiter der Forschungsgruppe Integrierte Bioprozessentwicklung an der TU Wien. „Wenn man nun ein neuartiges Antikörpern-Fragment findet und herstellt, das an das eindringende Gluten-Molekül andockt und es blockiert, ohne aber das Immunsystem anzuregen, dann kann man die Symptome der Zöliakie unterdrücken“, so Spadiut.
Ziel des Forschungsprojekts war nun, einen Komplex aus zwei neuartigen Antikörper-Fragmenten herzustellen, die das Gluten-Molekül gewissermaßen molekular umklammern, sodass es keine weiteren Auswirkungen im Darm mehr haben kann. „Man muss dazu bestimmte Bakterien so umprogrammieren, dass sie genau das gewünschte Antikörper-Fragment herstellen und das ist ein höchst komplizierter Prozess“, betont TU-Experte Spadiut.

Extrem komplexer Prozess
Wenn die Proteine nicht exakt auf die gewünschte Weise gefaltet werden, entstehen dann sogenannte „Einschlusskörperchen“ – kleine Partikel, die aus fehlerhaft gefalteten Proteinen bestehen. Das TU-Team musste daher einen Prozess entwickeln, diese Einschlusskörperchen wieder aufzufalten und aus ihnen die gewünschten Proteine zu gewinnen.
Solche Prozesse sind allerdings bisher nicht ausreichend studiert und daher nicht sehr effizient. „Man muss die chemischen Abläufe sehr genau verstehen und auf komplizierte Weise steuernd eingreifen“, so Spadiut. „Daher hat es eine Weile gedauert – aber nun haben wir ein Verfahren entwickelt, das gut reproduzierbar ist, auf industriellen Maßstab skaliert werden kann und eine sehr gute Ausbeute des gewünschten Produkts liefert.“

Angewandte Forschung bis zur Marktreife
Unterstützt wurde das Projekt vom Industriepartner SCIOTEC Diagnostic Technologies, der das neue Medizinprodukt auf den Markt bringen wird. „Es wird sich um ein Präparat handeln, das Zöliakie-Patienten zusammen mit glutenhaltigen Lebensmitteln einnehmen können, um die Zöliakie-Symptome zu lindern“, ergänzt Oliver Spadiut.
„Ob die Symptome dadurch ganz zum Verschwinden gebracht werden oder nur abgeschwächt werden, muss sich erst zeigen, das ist auch individuell unterschiedlich. Wir rechnen jedenfalls fest damit, dass das Produkt bereits im Jahr 2021 in gewöhnlichen Apotheken zu haben sein wird“, unterstreicht TU-Forscher Spadiut.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 09.09.2018